Making of

Der Schneebesen trieft vor Zuckermelasse. Beherzt greift Roland Trettl zu und wirbelt mit weit ausholenden Armbewegungen das Arbeitsgerät durch die Luft.

Dünnste Zuckerfäden schweben auf das eigens ausgelegte Paket-Papier am Boden. Bewegung für Bewegung, Faden für Faden, immer und immer wieder. Roland Trettl weiß genau, was sonst kein anderer im Fotostudio auch nur ahnt: „Das wird der Schal.“

Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 39c, im Fotostudio von „HELGE KIRCHBERGER Photography.“ Foto-Shooting zur Fashion-Food. Ein Schal aus Zuckerwatte, ein Kleid aus Lardo-Speck, ein Mini-Rock aus Schnittlauch, eine Kette aus Hühnerfüßen, eine Stola aus Schweinenetz, ein Hosenanzug aus Pasta mit Sepia-Tinte – wer im Kopf keine Grenzen hat, hat sie nirgends.

Still sitzt Roland Trettl da, fast kontemplativ. Durchsticht ganz bedächtig giftgrüne Tiefkühlerbsen. Erbse für Erbse, eine jede exakt mittig auf eine Schnur gezogen. Roland Trettl ganz konzentriert: “Das wird die Kette.“ Wenn bei dem Tempo nicht vorher das Verfallsdatum zuschlägt.

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Nebenan an der Bar warten die Models. Treffpunkt war 16 Uhr, zum Auftrag gehört, dass die ganze Nacht durch gearbeitet wird. Die 26jährige Miseong, koreanischen Ursprungs und in Dortmund aufgewachsen, ist nicht ganz sicher, was auf sie zukommen wird: „So viel ich weiß, wird es schmierig und klebrig. Ich habe bereits ein paar Fotos gesehen. Aber was soll`s, ich habe keinerlei Lebensmittelallergien.“

Das Studio: Ein 650 Quadratmeter-Loft, in dem gleich mit Fischresten, Ölen, heißen Schokoladen gearbeitet werden soll. Alles ist perfekt vorbereitet. Die Böden ausgelegt mit Papieren und Folien. Die Glastür eines eigens aufgestellten Kühlschrankes gibt den Blick frei ins Innere. Auf Salate, Gemüse und Kräuter aller Art. Auf Fischhäute und Kuhmägen. Auf Entenfüße und Steinbuttgräten. Auf Baby-Calamari und Hahnenkämme.

“Beim ersten Shooting hatte ich noch Unmengen von Material dabei. Einfach, weil ich beim besten Willen nicht wusste, worauf das alles hinaus läuft. Was ich wirklich brauche und was nicht.“

Die Zeit des Herantastens ist für Roland Trettl mittlerweile lange vorbei. Flüchtig hingeworfene Kugelschreiber-skizzen hängen an der Wand. „Model Salat“ heißt die eine, „Model Fisch“ eine andere, Model Schoko eine dritte. Die Raumtemperatur liegt bei molligen 25 Grad. Helge Kirchberger checkt alle Türen und Fenster: „Bitte darauf achten, dass alles geschlossen bleibt – denn die Mädels werden gleich nichts mehr anhaben. Hier soll keiner frieren.

Wie eine Mischung aus Zahnarzt, Chefkoch und Automechaniker legt Roland Trettl sein Werkzeug penibel parallel angeordnet vor sich auf die extra aufgestellten Tapezier-Tische aus. Eine robuste Kneifzange, ein Spargelschäler,

ein Juliennehobel, ein Tourniermesse, ein japanisches Fischmesser, Pinsel und Drähte aller Stärken, Kordeln aller Längen, Klemmen, Folien, ein Teppichmesser, Klebstoffe, Gummihandschuhe.

®FASHION FOOD

Nichts ist so nervig wie gebremste Kreativität, nur weil das passende Werkzeug fehlt. Trettl kontrolliert, prüft die Qualität, packt aus, ordnet, schneidet zu, holt raus und legt wieder weg. Pirelli-Kalender, Modemagazine, Chanel-Werbung, ein Gang über den Markt, eine schnelle Fahrt zur Metro, alles hatte der Ikarus Executive-Chef in sich aufgesaugt – nun soll es umgesetzt werden. Er weiß, er hat noch Zeit, denn im Hintergrund arbeitet man zu fünft immer noch am perfekten Licht. Eins um andere Mal werden Schweinwerfer gerichtet, Spiegel justiert, Probeschüsse gemacht und am Laptop kontrolliert.

Dann ist es so weit. Model Elisabeth wird mit raschen Bewegungen mit Glykose-Sirup bestrichen, mit „Liebesperlen“ belegt, die Haare mit flüssiger Schokolade übergossen – als letztes dann der Zucker-Schal.

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Schnell muss es jetzt gehen. Denn die Liebesperlen rascheln bei jeder Bewegung zu Boden. Überhaupt: Was heißt eigentlich schnell? Wie lange behält ein dünn ausgerollter Nudelteig unter dem gleißend-warmen Studiolicht seine Geschmeidigkeit. Ab wann schaut der glänzend frische Regenbogenforellenkopf etwas trübe durch die Linsen? Ab wann wird ein Kleid aus hauchdünnen milchig-farbenen Lardo-Scheiben durch die Körperwärme des Models vom Hingucker zum glasigen Durchgucker?

Zehn Minuten und 150 Aufnahmen später sind all diese Fragen noch lange nicht beantwortet, aber zumindest ist das erste Motiv im Kasten. Helge Kirchberger ist zufrieden, Roland Trettl hingegen skeptisch: „Ich weiß nicht so recht. Allerdings, das ist beim ersten Bild stets das gleiche. Ich muss immer wieder auf`s Neue erst wieder rein kommen.“

Und Roland Trettl kommt langsam rein. Holt den sechs Kilo schweren Oktopus aus dem Kühlschrank. Trennt mit sicherem Schnitt –gelernt ist gelernt – die Arme vom Körper. Und bearbeitet die Oktopus-Tentakel mit einem Bunsenbrenner: „Die heiße Flamme bringt Farbe an die Arme. Aber wichtiger noch: Die Hitze lässt jede einzelne Noppe konturierter hervortreten.“ Jetzt noch ein wenig Blattgold auf die Noppen – das Model kann kommen.

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Helge Kirchberger steht am Set und gibt Anweisungen, dirigiert das Model. Roland Trettl lässt seinen Blick ständig hin und her wandern. Zum Mac-Schirm, zum Model, zum Mac-Schirm, zum Model, zum Mac-Schirm. Fotograf Kirchberger kommt in Fahrt, beruhigend sein „Jawohl, gut, gut, super, perfekt, ja genau.“ Alles untermalt vom Ploppen der Blitze und vom wimmernden Quietsch-Geräusch des Ladegerätes. Jetzt bitte noch etwas Nebel. „Ja, genau, super, okay, ja genau.“
Die Fotomodelle lösen sich nun ab. Während Helge fotografiert, kümmert sich Roland um den nächsten Schuss. Angespannt wirkt er, fast wortkarg. Allein die Dimensionen des Sets erzeugen Stress. Die Models, das gute Dutzend Mitarbeiter, die Top-Visagistin, der Salzburger Star-Friseur – alle schauen auf ihn.

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Roland Trettl hat jetzt einfach zu liefern.
Und will sich trotzdem die Freiheit zur Improvisation nicht nehmen lassen.
„Die Skizzen sind ja schön und gut, doch erst der Moment gibt die letztendliche Idee.“ Für diesen Moment muss man offen sein –
auch nach acht Stunden Shooting und mitten in der Nacht.
Trettl, der als Ikarus-Executive­-Chef schon einen mehr als ausgefüllten Tag hat, besteht bei seinem Fashion-Food-Shooting auf die Nachstunden:

„Solange es hell ist, sind alle hektisch und beschäftigt. Nachts ist alles anders. Da hörst du kein Handy, dann ist eine Ruhe eingekehrt und dann wird es für mich mystischer.“

Stunde für Stunde, Aufnahme für Aufnahme: Trettl ringt. Mit sich. Mit Helge. Mit den Produkten. Mit den Models. Mit der Optik. Mit dem Ergebnis.
Was bringt den entscheidenden Dreh?
Die mühsamst mit der Pinzette aufgetragenen einzelnen Kaviar-Eier? Oder die stumpf-wuchtig über den Kopf geschüttete weiße Schokolade? Roland Trettl, der als Chefkoch mit so sicherer Hand scheinbar so leicht zum spektakulären Ergebnis kommt, muss sich auf dem Set in Demut üben:

„Man hat da so eine Idee. Aber es ist ganz anders als beim Kochen. Beim Kochen weiß ich, das es gelingt – hier nicht.“

Die geplanten Schüsse sind abgearbeitet. Über Salzburg zieht die Dämmerung auf, alles hat geklappt. In Kirchbergers Computer harren jetzt weit über 1000 Schüsse der finalen Bearbeitung. Die Stimmung wird gelöster, aus Trettls Stress-Zigaretten werden Entspannungs-Zigaretten. Es darf nun auch gelacht werden. Food zur Fashion – das war das Thema der ganzen Nacht, vielleicht geht es zum Abschluss ja auch mal umgekehrt, Fashion zu Food. Die 22jährige Kathrin, immer noch über und über mit einem Nudelteig-Kleid belegt und verziert mit Armreifen aus einem Langusten-Carpaccio, hat da so eine Idee: „Ich leg mich einfach schnell in eine ganz heiße Badewanne und dann haben wir alle was richtig Leckeres zu essen.“

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Making of Galerie #1
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Making of Galerie #2

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Ausstellungen

Fashio Food Ausstellunge
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Temeswar
Calpe Gallery, RumänienTimisoara, str. Hector nr.1
Telefon +4(0) 724 380303| www.calpegallery.ro
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Freiheitshallte_HofFreiheitshalle Hof
Kulmbacher Str. 4 | 195030 Hof, Deutschland
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MFK_BerlinMuseum für Kommunikation Berlin
Leipziger Strasse 16 | 10117 Berlin
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Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf, Deutschland
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Roland Trettl

Die „Fashion-Food“-Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Spitzenkoch (www.rolandtrettl.com) beruht auf einem Missverständnis. Eigentlich dachte Mode-Fan Helge Kirchberger, in Trettl einen leidenschaftlichen Fachmann für alles rund ums Thema Essen gefunden zu haben. Stattdessen entpuppte sich der Ikarus-Excutive-Chef ganz schnell als der wahre Mode-Mann heraus. Tatsächlich ist Roland Trettl ein selbst deklarierter Mode-Freak allererster Klasse, der selbst auf kurzen Wochenendtrips  nur ungern mit weniger als drei Koffern reist.

Seine Südtiroler Jugend war von einigen wichtigen Eckpfeilern geprägt: schräger Punkerauftritt, ansonsten viel Eishockey im Winter, viel Freibad im Sommer und das ganze Jahr über relativ wenig Schule.

Auch Trettls Berufswunsch war dementsprechend zweckorientiert: „Koch – da konnte ich zu Hause bei meine Eishockey-Kumpels bleiben und die Eltern geben Ruhe.“

 

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Eishockey, Tennis, Aushilfsbademeister und Dorf-DJ, dazu die legendären Südtiroler Mädels – und ein Job, der nicht besonders störte – das Leben hätte so schön sein können, wenn sich nicht drei weitere Trettl-Eigenschaften immer stärker in den Vordergrund geschoben hätten:  Neugier, Ehrgeiz und die Lust am Anderssein. Was nach Beendigung der Südtiroler Kochlehre im Trettlschen Wertesystem nur in einem münden konnte: „Wenn wirklich Koch, dann richtig.“ Mit anderen Worten:  Witzigmanns „Aubergine“ in München.“

Es spricht für Witzigmann, dass er hinter Trettls punkiger Rebellenfassade den potentiellen Spitzenkönner ahnte. Heute weiß Roland Trettl:
Das war, als hätte ich mich beim Formel-1-Team von Ferrari beworben. Mit dem Satz, ich habe doch einen Führerschein und immerhin zwei Jahre unfallfrei Taxi gefahren.
Witzigmann akzeptierte den Taxi-Fahrer und von da an verlief Trettls Karriere kometenhaft. Versehen mit dem Zusatz „Witzigmann-Lieblingsschüler“ wechselte der Südtiroler nach seiner „Aubergine“-Zeit zum Münchener „Tantris“. Im Anschluss daran leitete er für den großen E.W. das Ca`s Puers auf Mallorca. Mit 26 Jahren erkochte Trettl dort seinen ersten Michelin-Stern. Eine weitere herausragende Station war die Zeit  in Tokio, wo er ebenfalls für seinen „Chef“ der Frontmann war.

Dort sollte ihn dann der Ruf zur größten Kulinarik-Aufgabe weltweit ereilen. Red Bull-Eigner Dietrich Mateschitz plante das „Ikarus“ im Salzburger Hangar-7, wo im monatlichen Rhythmus die besten Köche der Welt ihren Gastauftritt haben sollten.

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Diese unglaubliche Kombination – höchste Eigenbegabung und gleichzeitig das einmalige Privileg, weltweit mit den Besten gemeinsam gekocht zu haben, ließen Fachleute zur Sicherheit gelangen, dass sich Roland Trettl an die absolute Spitze der internationalen Top-Köche gesetzt hat.

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Helge Kirchberger

Zwei Filmdosen und ein Tiefkühlfach – die reichten dem angehenden Fotokaufmann Helge Kirchberger, um alles Wichtige für seinen Beruf zu lernen. Erstens die Filmdosen – in die rein kamen, was Kirchberger auf seinen Wochenendexkursionen
damals unbedingt fotografieren wollte: Bienen, Käfer und Spinnen. Ein Problem gab es allerdings: Helge Kirchberger hatte es nicht so mit krabbelnden und fliegenden Kleingetier. Und deswegen nun das Kühlfach. Weiß doch ein jeder, dass Insekten aller Art ihren Bewegungsdrang auf ein Minimum reduzieren und sich ganz besonders fotogen präsentieren, wenn sie erst einmal schockgefrostet sind…

Typisch Helge Kirchberger, der schon früh für sich den Notausgang als legitimes Hauptportal entdeckte.
Eigentlich wollte er ja – ganz familienbelastet – Arzt werden, wenn möglich Chirurg. Dass dazu Abitur und Hochschulstudium vonnöten ist, hatte Schüler Kirchberger allerdings geflissentlich übersehen. Man kann seine damalige Schulzeit auch gerne als neunjähriges Sub-Optimum umschreiben.

Einziger Lichtblick im letzten, dem polytechnischen Lehrjahr: Das schuleigene Fotolabor. Fotografieren, Filme entwickeln, Bilder schwarz-weiß, das bereitete einen riesigen Spaß, aufkommender Berufswunsch inklusive: Fotokaufmann.

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Was letztendlich ein neuer Schuss in den Ofen war. Die Woche über lernte Helge Kirchberger nun den Verkäufer und nur das Wochenende ließ ihm Zeit für das, worum es letztendlich wirklich ging: Sonnenaufgänge, Naturerlebnisse, Abendstimmungen – alles durch das Auge des Fotografen fokussiert. Und dann gab es noch den hochinteressanten Bereich der „Makro-Fotografie“, was Hunderte von Insekten – siehe oben – als einen sehr hochtrabenden Begriff für „Filmdosen im Tiefkühlfach“ empfanden…

Kirchberger war schnell klar, dass die Ausbildung zum Fotokaufmann sich als Sackgase erweisen würde, aus eigener Tasche zahlte er nun eine Ausbildung auf der Grazer Berufsschule für Fotografie.
Nun kam Bewegung ins Ganze: Einstieg in die Berufswelt als Fotograf, Gesellenbrief, Meisterprüfung, Gewerbeschein. Und 1990 der erste eigene Fotofachgeschäft – Beratung, Handel, Fotografie.

Tagsüber habe ich dann verkauft, abends und am Wochenende habe ich fotografiert. Ein Generator, drei Lampen – wir waren ein Mini-Studio. Und ich habe alles fotografiert, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Passfotos, Kinder, Firmungen, Hochzeiten, Jubiläen, Begräbnisse – einfach alles.“

Hochzeit mit Langzeit-Freundin Sylvia, dann Stammhalter Patrick, dann Nesthäkchen Verena – alles innerhalb überschaubarer zweieinhalb Jahre – brachten eine gewisse Ernsthaftigkeit ins Tagesgeschäft…

Kirchbergers Genugtuung: „Es waren gerade Familienfeiern wie beispielsweise Hochzeiten, die mir den Kontakt zu großen Industrie-Kunden brachte. Hätte ich früher bei deren Werbeabteilungen vorgesprochen, ich wäre noch nicht mal bis zur Sekretärin vorgelassen worden.“

Helge_Kirchberger
Helge_Kirchberger

Aus dem kleinen Laden-Geschäft wurde ein gemietetes 160 Quadratmeter-Studio. Daraus ein gekauftes 650 Quadratmeter-Loft mit heute sieben Mitarbeiter und mit all den räumlichen und technischen Möglichkeiten, die seine anspruchsvolle Klientel heute erwartet. Ob Audi oder BMW, ob Atomic oder Red Bull, ob Austrian Airlines oder Swarovski – Kirchberges Kundenlist ist so prominent wie die Kunden zufrieden.

Und selbst internationale Reputation erwarb sich Helge Kirchberger Photography mit der digitalen Reproduktion von Mozarts sieben „großen“ Opern. Das vom Packard Humanities Institute in Los Altos, Kalifornien, finanzierte Projekt führte Kirchberger und seinen Mitarbeiter Gerald Rihar für Monate nach Berlin, Krakau und Paris, wo er insgesamt 4000 Seiten der Mozart-Handschriften digitalisierte. Helge Kirchberger: „Ein Projekt mit diesem Aufwand hat es in dieser Größenordnung noch nicht gegeben.“

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FASHION FOOD – Calpe Gallery Temeswar